Homo Ludens

Warum spielt der Mensch so gerne?

Weil spielen wichtig ist. Nicht nur für Kinder. Gerade für Software- und Produkt-Entwickler, Manager und Kreative in der Medien- und Tech-Szene, die Grenzen überschreiten wollen, um neu zu denken, kreativ Probleme zu lösen.

Was der Philosoph Friedrich Schiller und Forscher wie der Kulturhistoriker Johan Huizinga in Briefen und Literatur festgehalten haben, greifen heute Startups und große Konzerne auf und nennen es dann Agile Games und Design Thinking. An Albert Einsteins Satz: “Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers”, ist nämlich was dran!

Aber was genau steckt dahinter: Warum spielt der Mensch eigentlich so gerne? Bevor wir zu Huizinga und den Agile Coaches kommen, gehen wir zurück in die Kindheit.

Trieb und Instinkt – Spielen ist wichtig für die Entwicklung

Zur Theorie: Der sogenannte Spieltrieb tritt bei Mensch und Tier bereits im Säuglingsalter auf. Spielen ist eine Form des Sozialverhaltens, wie es sie nur bei Säugetieren gibt. In der Entwicklungspsychologie ordnet man spielerisches Verhalten der Trieb- und Instinkttheorie zu.

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Wenn Kinder spielen, fördert das ihre Entwicklung. Spielen stellt wichtige Weichen für das Erwachsenenleben: Beim Spiel geht es immer auch um ein Austesten der eigenen Macht und ihrer Grenzen, um den Umgang mit Gefühlen, Misserfolgen und plötzlichen Aggressionen, die auftauchen, wenn etwas nicht so läuft, wie man sich das wünscht. Kinder ahmen beispielsweise im Rollenspiel mit anderen Kindern, Eltern oder Erzieherinnen und Erziehern bestimmte erlebte Situationen nach, um sie so zu verarbeiten und zu begreifen.

Gerade kulturelle Fähigkeiten haben sich evolutionär verändert. Lernte man im Mittelalter in jungen Jahren vielleicht eher Reiten oder wie man ein Feuer entzündet, ist es heute der Umgang mit dem Smartphone, das Kommunizieren mit einem Interface.

Spielen ist also nicht nur Freizeitbeschäftigung. In “Die Psychologie des Spiels” hält Psychologe Rolf Oerter fest: Spielen ist ein Verhalten ohne Zweck, aber nicht ohne Sinn! Was er damit meint: Spielen hat nicht direkt etwas mit unserem Alltag zu tun, greift nicht direkt darin ein, bereitet uns aber in einem geschützten Raum auf Alltagssituationen vor. Das heißt auch: Man darf etwas ausprobieren, daran scheitern und aus den Fehlern lernen. Und daraus eine Strategie entwickeln.

Um Strategien geht es auch auf der weltpolitische Bühne – Denn wo testen Menschen häufiger ihre Grenzen, scheitern und probieren etwas anderes als in sozialen Konfliktsituationen oder der Politik: Wie reagiert ein Land, nachdem es beispielsweise durch wirtschaftliche Sanktionen von einem anderen Land unter Druck gesetzt wird? Geht dieses Land darauf ein, verhandelt einen Kompromiss, geht auf die Forderungen ein oder droht gar einen Handelskrieg an? Gerade in Zeiten des Kalten Krieges wurde die sogenannte Spieltheorie von dem US-amerikanischen Spieltheoretiker und Ökonom John Nash (Nash-Gleichgewicht) weiterentwickelt. Wie der Name schon sagt, steckt hinter dem ständigen Auf- und Abrüsten, hinter dem Abwägen zwischen einem kurzfristigen Vorteil in einem eventuellen Krieg und der langfristigen Lösung des Friedens. Beim “Spiel” geht es hier um ein mathematisches Modell.

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Homo Faber und das Konzept von Design Thinking

Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga veröffentlichte 1938 ein Buch mit dem Namen homo ludens. Darin erklärt er das Spiel als Grundkategorie menschlichen Verhaltens und schreibt, dass sich kulturelle Systeme wie Politik und Rechtswesen, Religion und Wissenschaft aus dem Spiel entwickelt haben, um systemtheoretische Fragen zu beantworten wie: Wie wollen wir unseren gemeinsamen Lebensraum gestalten, wie organisieren wir uns, wie schaffen wir Gerechtigkeit? Erst über das ständige Wiederholen, entstehen Rituale und schließlich feste Institutionen. Die wiederum zu Zwängen mutieren können. Das nur am Rande. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, im Guten wie im Schlechten.

 

Worum es uns hier eigentlich geht: Spielen ermutigt, sich neuen Herausforderungen zu stellen – Es kann ja nichts passieren. So lernt man als Kind fast beiläufig neue Fähigkeiten, um als Erwachsener dann bereits erlernte Fähigkeiten auszubauen oder wiederzuentdecken. Es geht darum, aus (alten) Denkmustern auszubrechen, Gehirnzellen neu zu vernetzen. Darum, dass der Mensch beim Spiel am besten dazulernt, da das Spiel aber nur die Wirklichkeit simuliert, wähnt er sich in einem sicheren Rahmen.

Statt rein funktional zu denken und zu handeln, sich ritualisiert zu verhalten, geht es um Ausprobieren, komplexe Probleme kreativ anzugehen, mehrdimensional zu denken.

Denn Spielen hat immer auch etwas mit Neugierde zu tun, rausfinden was sonst möglich wäre, aber bisher für unmöglich gehalten wurde. Das steckt auch hinter “Design Thinking”. Joe Gebbia, Mitgründer und Vorstandsmitglied von Airbnb erklärt den Begriff so: “with Design Thinking you can see two dots, that don’t make any sense, but somehow in your head you connect them in a new and different way.”

Beim Design Thinking geht es nicht nur um das Verknüpfen von zwei Punkten, sondern um das Kombinieren von Fähigkeiten der Personen aus unterschiedlichen Disziplinen: Entwickler, Designer, Programmierer, HR-Leute, Marketing. Nicht nur gemeinsam Probleme zu lösen, sondern auch den jeweils anderen zu verstehen, seine oder ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen und so neue Konzepte zu entwickeln.

Agile Games sind ein modernes Trainingsformat dafür. Dabei geht es darum spielerisch den eigenen Möglichkeitsraum zu erweitern. Man bekommt als Team (oder vielleicht als Bürogemeinschaft) eine Aufgabe gestellt: Baut aus diesen losen Papierfetzen eine stabile Brücke, wer die höchste baut, gewinnt. So versucht man sich gemeinsam als Team zu arrangieren, wer entwickelt den Bauplan, wer baut, wer moderiert und wer motiviert die Teilnehmer. Man kann sich als Führungsperson zu einem Agile Coach ausbilden lassen und diese kreativen Gruppenaufgaben in den Büroalltag integrieren.

Das Konzept von Design Thinking bricht so mit dem Kontrast, den der Kulturhistoriker Huiginza zwischen homo ludens, dem “spielenden Mensch”, und homo faber, dem “arbeitenden, handwerklich tätigen Menschen” aufmacht. Spielen und Arbeiten passt und gehört hier zusammen. Auch der Sport- und Spielewissenschafter sowie Ex-Bundeswehroffizier Siegbert A. Warwitz sieht in beiden Begriffe eher mehrere Dimensionen und geht noch einen Schritt weiter: Über das scheinbar zweckfreie Spiel entdeckt der Mensch seine innere Welt, findet heraus, wer er ist und sein will.

Gamifikation – Spieltrieb kurbelt Wirtschaft an

Apropos: Wer man sein will. Spiele laden uns natürlich auch dazu ein, in eine neue, andere Welt abzutauchen und uns darin zu verlieren. World of Warcraft, League of Legends, Pokémon Go – gerade letzteres zeigt wohl am eindrücklichsten, dass auch der erwachsene Mensch zum Spielen sogar noch nach Feierabend vor die Tür geht, durch die Stadt streift, um aus der Realität auszubrechen und statt neue Kunden zu gewinnen, virtuelle Fantasiewesen fängt. “Im Mittelalter hat man ihn (den Spieltrieb) dämonisiert, bei Schiller wurde er idealisiert, heute wird er instrumentalisiert“, sagt Martin Geisler, Professor für Medienpädagogik an der Hochschule Jena. Egal ob Fußball, Brettspiele oder Ego-Shooter. Das entspricht auch ganz Sigmund Freuds Theorie: Der Mensch nimmt eine Fantasierolle an, um sich aus der bitteren Realität zu stehlen. Spiel als Gegenteil von Wirklichkeit und somit als Schutzraum der Möglichkeiten eröffnet.

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Und: Wer häufig spielt, wird besser. Was natürlich ein Push-Faktor ist, neben dem Glücksgefühl, das beim erfolgreichen Fangen eines Pikachu auftritt. Dass wir durch Üben mit der Zeit besser werden, liegt auch daran, dass man beim Spiel spezifische Fähigkeiten erweitert. Spielen ist ein Lernvorgang – wie die Neurowissenschaflterin Simone Kühn vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin nachweisen konnte: Das Spiel „Super Mario 3D“ lässt die für räumliche Vorstellung, strategisches Planen und die Fingersteuerung zuständigen Gehirnregionen wachsen. Zocken kann für das Gehirn also durchaus förderlich sein.

Und natürlich trifft dies auch auf die Vermittlung von Wissen zu – durch neue Wege ist es vielleicht möglich Information mit den Vorteilen des Spielens zu kommunizieren. Damit es für Leser einfacher wird komplexe Themen zu verstehen oder sich an Zusammenhänge zu erinnern. Gerade heute nutzen weltweit zahlreiche Innovationsteams digitale Möglichkeiten, loten diese aus, denken sie neu, um die Medien der Zukunft zu finden. Denn der Buchdruck kam immer schon vor 500 Jahren in Europa an – vielleicht gibt es ja noch bessere Möglichkeiten?

Wenn aus Spieltrieb Spielsucht wird

Dass Spielen nicht nur Positives in uns Menschen hervorruft, sondern auch die Abgründe aufzeigt, sei an dieser Stelle gesagt: Natürlich geht es hier um Glücksspiel. Die Faszination von Erfolg und Misserfolg. Und um die Sucht. Die weibliche Stimme, die nach der stündlichen Lotto-Radiowerbung den Satz “Achtung: Glücksspiel kann süchtig machen”, sagt, in aller Ehren: Studien zeigen, dass bei Menschen, die extrem spielbegeistert sind, Gehirnprozesse ablaufen, die denen von Drogensüchtigen ähneln. Besonders beim Einsatz von Geld. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zwanghaftes Glücksspiel mittlerweile in ihr internationales diagnostisches System International Classification of Diseases (ICD) als eigenständige psychische Erkrankung aufgenommen. Im aktuellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung zeigten 2018 hochgerechnet auf die Bevölkerung mehr als 500.000 Menschen in Deutschland ein “problematisches bzw. pathologisches Glücksspielverhalten”. Glücksspiel-Lobby und Politik sind dann aber wieder ein anderes Thema.

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